Positionen der ÖGK-Sozialpartner zum Finanzausgleich
Das österreichische Gesundheitssystem funktioniert grundsätzlich ausgezeichnet, aber es gibt Verbesserungspotenzial. Die Verhandlungen für den Finanzausgleich sind eine gute Möglichkeit, Maßnahmen zu beschließen, um das Gesundheitssystem zukunftsfit zu gestalten und Reformen zu setzen.
Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) hat eine umfassende Analyse des Gesundheitssystems durchgeführt und auf Basis dieser Daten und Fakten, Lösungsvorschläge erarbeitet. Ziel ist, ein nachhaltiges und verlässliches Gesundheitssystem für alle in Österreich lebenden Menschen weiterhin zu gewährleisten.
Andreas Huss, ÖGK-Obmann Stellvertreter erklärt: „Wir wollen diese Chance des Finanzausgleichs nutzen, um Verbesserungen für die Bevölkerung zu erreichen. Neben der besseren Verschränkung von Spitalsambulanzen und niedergelassener Versorgung und dem Ausbau des öffentlichen Impfprogramms wollen wir endlich eine einheitliche Abgabe von Heilbehelfen und Hilfsmitteln in allen Bundesländern umsetzen. Genauso soll es in Zukunft für Versicherte mit Bedarf an teuren Medikamenten egal sein, ob sie im Krankenhaus oder im niedergelassenen Bereich versorgt werden. Hier soll ein großer gemeinsamer Finanzierungstopf kommen. Auch in der Versorgung von psychischen Krankheiten brauchen wir ein flächendeckendes Netz von multiprofessionellen Versorgungszentren.“
Moritz Mitterer, stellvertretender Vorsitzender der Hauptversammlung der ÖGK betont: „Wichtig für die Verhandlungen sind: Zahlen, Daten, Fakten. Jeder Euro muss so effizient wie möglich für die Versicherten eingesetzt werden. Es muss sichergestellt werden, dass jeder im System, das macht, wofür er am besten geeignet ist. Dazu müssen z.B. Ärzte von unnötiger Bürokratie befreit werden und bei ihrer Kerntätigkeit unterstützt werden, durch Initiativen wie Sorglospaket, Stipendium für Medizinstudenten, Gründer-Unterstützung oder Ärztebereitstellungsgesellschaft. Denn jeder Euro, der in Kassenärzte investiert wird, entlastet Spitäler.
Denn die Sozialversicherung trägt den Hauptteil der Gesundheitskosten. Über die Beitragseinnahmen der Sozialversicherung werden nicht nur der niedergelassene Bereich finanziert, sondern auch 42 Prozent der Spitalskosten. Das sind derzeit 6,3 Milliarden Euro. Als Hauptzahler muss die Sozialversicherung daher auch gleichberechtigter Verhandlungspartner bei den Gesprächen zu den 15a -Vereinbarungen im Finanzausgleich sein.
Die Zielsteuerung Gesundheit leistet bereits jetzt schon einen Beitrag zur Überwindung der Fragmentierung. Sie soll weiter ausgebaut werden.
Sozialversicherung als Hauptzahler für Krankenhäuser
Die Sozialversicherung zahlt in diesem Jahr 6,3 Milliarden Euro für die Finanzierung der Spitäler. Welche Leistungen dahinterstehen, ist aber nicht klar. Weder, welche Behandlungen erbracht werden noch wie lange Ambulanzen geöffnet sind. Ein großes Augenmerk ist daher künftig auf Transparenz in diesem Versorgungsbereich zu legen. Auf Basis dieser Transparenz sollen dann Versorgungsaufträge definiert werden. Diese bilden wiederum eine Grundlage zur besseren Verzahnung mit dem niedergelassenen Sektor, z.B. durch den Einkauf von definierten, spitalambulanten Leistungen zur Ergänzung der niedergelassenen Versorgung.
Jeder dritte Beitragseuro geht an die Spitäler. Um die Beitragseinnahmen der Sozialversicherung bestmöglich einzusetzen, braucht es Klarheit und Transparenz über das Leistungsgeschehen in Spitälern und Ambulanzen. Nur dann können kluge Maßnahmen gesetzt und nachhaltige Reformen wirksam werden.
Eine stärkere Einbeziehung der Sozialversicherung schafft Spielraum, um effektiver zu werden und bessere Leistungen zu erreichen.
Entlastung der Spitäler bedeutet Stärkung des niedergelassenen Bereichs
Der Ruf nach mehr Finanzmitteln für die Spitäler wird immer lauter. Aus Sicht der Sozialversicherung ist das der falsche Weg, denn jeder Euro der zusätzlich in den Spitalsbereich fließt, fehlt in der niedergelassenen Versorgung. Um Krankenhäuser weiter zu entlasten braucht es gut aufgestellte Ambulanzen und eine bessere niedergelassene Versorgung.
Einen Schlüssel für die Entlastung sieht Mitterer in der Digitalisierung: „Mit Telemedizin werden wir unser Gesundheitssystem nachhaltig verbessern: Ziel muss es sein, dass noch vor dem eigentlichen Arztbesuch digitale Gesundheitsdienste wie zB die Gesundheitshotline 1450 breit in Anspruch genommen werden. Das entlastet Ärztinnen, Ärzte, die Krankenhäuser und verhindert lange Wartezeiten oder Doppeluntersuchungen! Die Hotline 1450 hat sich schon während der Covid-Pandemie als wichtige Maßnahme für Gesundheitsauskünfte und Erstberatung erwiesen. Mit der Weiterentwicklung wollen wir es unseren Versicherten zukünftig ermöglichen, zB rasche Terminbuchungen oder Arzttermine telefonisch und zukünftig digital via App und Videotelefonie durchzuführen. Außerdem wollen wir eine eigene Kinderhotline 1451 etablieren. Damit setzen wir auf ein niederschwelliges Angebot und entlasten das Gesundheitssystem bei zunehmender Personalknappheit in den Versorgungseinrichtungen. Wir passen die Versorgungsstruktur an den Bedarf der Menschen an“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Hauptversammlung der ÖGK.
Für Huss ist die Weiterentwicklung der Versorgungsformen von zentraler Bedeutung: „Das Leistungsgeschehen in den Krankenhäusern und in den Ambulanzen sinkt seit Jahren. Um das aufzufangen brauchen wir moderne Versorgungsformen und eine bessere Vernetzung im ambulanten Bereich. Hier sollen die Versicherten von der Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen, einer breiten Angebotspalette und langen Öffnungszeiten profitieren. Im Finanzausgleich können wir gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, damit sich die Modernisierung realisieren lässt“, führt der stellvertretende Obmann der ÖGK aus.
Die Maßnahmen im Überblick:
Ausbau Primärversorgung
Derzeit gibt es in Österreich 39 Primärversorgungseinrichtungen, bald 40. Die gesetzlichen Hürden, eine PVE zu errichten sind nach wie vor hoch. Damit rasch weitere PVE in Österreich errichtet werden können, muss das Gesetz überarbeitet werden.
Neue zusätzliche Kassenstellen
Die Frequenzen im niedergelassenen Bereich steigen stark an. Seit 2017 haben die Vertragsärztinnen und –ärzte der ÖGK um 9,3 Prozent mehr Fälle behandelt. Die Anzahl der Fälle in Ambulanzen sanken um 5,2 Prozent. Auch im stationären Setting ist ein Rückgang zu verzeichnen. Hier haben sich die Belagstage in Fondskrankenanstalten je 1.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohner über alle Bundesländer zwischen 2013 bis 2021 um 22,9 % reduziert. Neue zusätzliche Kassenplanstellen und leistungsstarke ambulante Strukturen sind notwendig, damit die Spitäler weiter entlastet werden können.
Österreichweiter Gesamtvertrag
Um österreichweit die Versorgung auch in den kommenden zehn Jahren sicherzustellen, braucht es qualitativ vergleichbare Rahmenbedingungen. Ein einheitlicher Leistungskatalog, der an einen klar definierten Versorgungsauftrag gebunden ist, ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Dadurch kann die Sozialversicherung die Attraktivität der Kassenverträge steigern und alle Patientinnen und Patienten erhalten ein gleiches und modernes Versorgungsangebot – vom Bodensee bis zum Neusiedlersee. Dazu braucht es auch die Unterstützung vom Bund, um die finanziellen Mehrleistungen auszugleichen.
Innovative Versorgungsformen
Ob selbstständige Ambulatorien, Gesundheitszentren oder intensive Kooperationen mit Spitälern – die Sozialversicherung ist für übergreifende Versorgungsformen offen, nicht nur im ärztlichen Bereich. Auch Psychosoziale Versorgungszentren sollen österreichweit als erste Anlaufstelle für psychische Beschwerden etabliert werden. Ein niederschwelliger Zugang für Personen mit psychischen Erkrankungen ist dringend notwendig, sodass in einem weiteren Schritt Behandlung und Begleitung der Erkrankten und ihrer Angehörigen sichergestellt werden kann. Diese innovativen Formen sind vor allem in der Kindermedizin, Frauenheilkunde, Psychiatrie und Psychologie anzustreben.
Digitalisierung: Digital vor ambulant vor stationär
Im Gesundheitsbereich bringt Digitalisierung viele Chancen und Möglichkeiten, die Versorgung zu verbessern und die Patientinnen und Patienten niederschwellig zu erreichen. Voraussetzungen dafür sind bereits geschaffen worden, die Bemühungen müssen noch weiter forciert werden.
Gesundheitshotline 1450 nützen und weiter ausbauen
Die Gesundheitshotline hat durch die Pandemie an Bekanntheit gewonnen. Hier hat man gesehen, welches Potenzial in einem niederschwelligen Gesundheitsberatungsangebot steckt. Das will die Sozialversicherung weiter nutzen und ausbauen, um Patientinnen und Patienten eine Anlaufstelle für ihre Fragen zu bieten. 1450 soll zudem auch als App nutzbar sein und mit Services wie Onlinevisite oder Telemedizin erweitert werden.
Mit 1451 soll eine eigene Gesundheitshotline für Fragen im Bereich der Kindergesundheit geschaffen werden.
Verpflichtende Diagnosecodierung
Digitalisierung bedeutet auch, mit Hilfe von Daten die Gesundheitsversorgung in Österreich zu verbessern. Dazu ist eine verpflichtende Diagnosecodierung für alle Bereiche dringend notwendig. Diese Erkenntnisse hilft auch den Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung zu verbessern und die Gesundheit der Versicherten zu stärken.
Große Herausforderungen gemeinsam bewältigen
Medizin wird besser und treffsicherer, aber auch teurer. Um Betroffenen die bestmögliche Versorgung, aber auch Hilfestellung bieten zu können, braucht es eine starke Zusammenarbeit zwischen Ländern und Sozialversicherung.
Gemeinsame Abgabe von Heilbehelfen und Hilfsmitteln
Hochspezialisierte Prothesen oder Hightech-Rollstühle – ist ein Versicherter auf diese Heilbehelfe oder Hilfsmittel angewiesen, ist das mit einem hohen Organisationsaufwand verbunden. Um Betroffenen diese Wege zu ersparen, ist eine gemeinsame Koordinierung zwischen den relevanten Institutionen (Land, Bund, Sozialversicherung) sinnvoll.
Gemeinsam neue Kooperations- und Finanzierungsmodelle für teure Medikamente entwickeln:
Es gibt wenige, sehr teure Medikamente, die Kosten im Milliardenbereich verursachen. 0,2 Prozent der jährlich 86 Millionen Verordnungen im niedergelassenen Bereich verursachen 25 Prozent der gesamten Heilmittelkosten in Höhe von drei Milliarden Euro. Damit die Therapien auch jenen Personen zugutekommen, die sie dringend benötigen, ist ein Kraftakt nötig, der nur durch Koordination und Kooperation gelingen kann. Hier gilt es, gemeinsam neue, Kooperations- und Finanzierungsmodelle zwischen intra- und extramuralen Bereich zu entwickeln.
Nationales Impfprogramm
Schutzimpfungen sind ein wichtiges Instrument zur Prävention. Das nationale Impfprogramm soll weiter ausgerollt und die Finanzierung sichergestellt werden.
Bessere Einbindung von Wahlärztinnen und Wahlärzte
Das Wahlarztsystem muss weiterentwickelt werden, sodass Wahlärztinnen und Wahlärzte besser in das Gesamtsystem eingebunden werden. Sie sollen verpflichtend an e-card, ELGA und e-Rezept angebunden werden sowie WAH-online verwenden, um die Rückerstattungszeiten zu beschleunigen. Außerdem soll es gemeinsame Regeln der Krankenversicherungsträger für den Umgang mit Kündigung einzelner Kassenverträge geben. |