„Die Reform ist mit Sicherheit ein Erfolg“
Der Chef der ÖGK, Bernhard Wurzer, über die umstrittene Reform der Krankenkassen, die politische Kritik am Finanzierungssystem, den Vorwurf einer Zweiklassenmedizin und den Versuch, die heimische Gesundheitsversorgung effizienter zu machen.
VON GÜNTER FRITZ
Die ÖGK war heuer bereits öfters in den Schlagzeilen. Zuletzt erklärte etwa der burgenländische Landeshauptmann Doskozil, er brauche die ÖGK nicht. Die sei nur ein großer Apparat, der Geld verteilt. Das könne das Land auch übernehmen …
Das ist eine politische Diskussion, auf die ich nicht näher eingehen will. Fakt ist: Das Gesundheitssystem sieht eine duale Finanzierung von Ländern und Sozialversicherung vor. Die ÖGK leistet hier einen sehr großen Beitrag. Sieht man sich das Verhältnis der Spitalsfinanzierung durch das Burgenland und die Finanzierung der Spitäler und niedergelassenen Ärzte durch die ÖGK an, so beträgt das Verhältnis 107 Millionen Euro zu 460 Millionen. Das sagt schon alles. Im Übrigen wird die ÖGK über Beiträge der Dienstgeber und Dienstnehmer finanziert -Geld, das ausschließlich für die Gesundheitsversorgung reserviert ist. Im Gegensatz zu Landesbudgets, bei denen der Anteil für den Gesundheitsbereich flexibel gehandhabt werden kann.
Dieses Finanzierungssystem wird ja insofern kritisiert, als die Länder mit Steuergeld, die Kassen mit Beiträgen finanzieren. Das habe zur Folge, dass die Kassen die Patienten lieber in den Spitälern sehen, weil die Länder dafür zahlen -und die Länder die Patienten lieber im niedergelassenen Bereich, weil da die Kassen zahlen. Ist das tatsächlich so?
Das Problem der Finanzierungslogik ist weniger, dass Länder und Kassen als zwei Institutionen finanzieren, sondern die Problematik, dass mit der 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ein Finanzierungssystem für die Spitäler festgelegt wurde, bei dem die Sozialversicherung eine fixe Pauschale bezahlt, die jährlich entsprechend den Beitragseinnahmen erhöht wird. Dennoch haben wir keinen Einfluss auf die Zahl der Betten in einem Krankenhaus oder die Öffnungszeiten der Ambulanzen – die jetzt nach Corona teilweise reduziert werden. Dieses Finanzierungsmodell wird von den Ländern nur immer dann in Frage gestellt, wenn deren Gesundheitskosten überdurchschnittlich steigen.
Und der Beitrag der Kassen?
Der Richtwert liegt bei über 40 Prozent der Kosten für Spitäler, es hängt aber dann noch von den tatsächlichen Kosten der Krankenhäuser ab. Politiker diskutieren gerne über Gelder, wenn die Finanzausgleichsverhandlungen mit dem Bund anstehen – und weniger über die Gesundheitsversorgung an sich. Das Entscheidende ist nicht, ob es eine Finanzierung aus einer Hand gibt, sondern ob es eine Versorgung aus einer Hand gibt. Und das machen wir -übrigens auch gemeinsam mit dem Burgenland. Wir haben den niedergelassenen Bereich mit freiberuflichen Ärztinnen und Ärzten, die Spitäler und die Spitalsambulanzen. Die Frage ist nur, welche Synergien man hier heben kann, um eine möglichst effiziente Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Woran denken Sie da?
Ausgehend von der Telefonnummer 1450 als Basis für einen telemedizinischen Dienst mit Konsultationen über Video bis hin zum Thema Spitalsambulanzen und/oder Allgemeinmediziner sollen die Menschen bei medizinischen Problemen so unterstützt werden, dass sie die optimale Betreuung bekommen.
1450 ist die Corona-Nummer?
1450 wurde bereits 2017 eingeführt und war als medizinische Erstberatung gedacht, wurde aber durch die Pandemie richtig bekannt und intensiv dafür genutzt. Sie soll jetzt zu einem telemedizinischen Dienst ausgebaut werden, in den auch die Spitäler mit eingebunden werden. So wie jetzt schon in der Steiermark, wo in Gegenden ohne niedergelassenen Mediziner Spitalsärzte in dislozierten Ambulanzen die Versorgung sichern. Auch im Burgenland sind wir in Gesprächen zu solchen Modellen.
Wie weit ist man beim Ausbau der Telemedizin?
Wir haben in sieben von neun Bundesländern mit der Ärztekammer Verträge geschlossen, dass Leistungen über Videokonsultationen abrechenbar sind -und zwar im selben Volumen, wie wenn der Patient vor Ort anwesend wäre. Zudem haben wir mit visit-e ein System aufgebaut, bei dem wir den Ärzten eine sichere Leitung für Videokonsultationen zur Verfügung stellen. Das beginnt langsam zu greifen; ehrlicherweise muss man sagen, es braucht dafür aber eine gewisse Anlaufzeit, damit auch die Ärztinnen und Ärzte die Vorteile erkennen und das in ihren Ordinationsalltag einbauen. Die neue Generation von Ärztinnen und Ärzten ist aber heiß auf solche Systeme, sie sehen darin die Zukunft.
Wie sieht es bei Gemeinschaftspraxen bzw. Primärversorgungszentren aus?
Wir merken bei Primärversorgungseinheiten ein großes Interesse – sowohl von Ärztinnen und Ärzten als auch von Patientinnen und Patienten. Sie schätzen es, dass dort in Teams gearbeitet wird, also Mediziner mit diplomierten Pflegekräften, Physiotherapeutinnen und -therapeuten oder Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen. Das bringt einen großen Mehrwert für alle. Gruppenpraxen sind anders aufgesetzt, das ist ein Zusammenschluss von mehreren Medizinern. Hier haben wir österreichweit 864 Planstellen besetzt.
Dieser Entwicklung stehen wir sehr aufgeschlossen gegenüber und wollen sie mit unserem „Sorglos-Paket“ unterstützen, bei dem Ärzte auswählen können – von der Praxisorganisation und Sprechstundenhilfe bis zur IT können verschiedene Leistungsmodule zugekauft werden. Der Bedarf ist da und wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen. Es gibt auch Gespräche mit der Ärztekammer dazu. Künftig soll das System viel flexibler, breiter und offener sein als bisher. Ziel ist, dass noch heuer die erste derartige Musterordination realisiert wird.
Stichwort Aufwand: Viele Ärzte klagen über immer größere Bürokratie …
Ich bin immer sehr erstaunt, wenn Kammerfunktionäre über Bürokratie reden, weil mir nicht ganz klar ist, was damit eigentlich gemeint ist. Die Abrechnungssysteme mit uns sind alle automatisiert, und dass ein Arzt dokumentieren und eine Patientenkartei führen muss, ist bei einem Gesundheitsberuf, bei dem es um Menschenleben geht, normal. Dass mit öffentlichen Geldern sorgsam umgegangen werden muss und korrekt abgerechnet werden muss, ist ebenfalls klar.
Wie stehen Sie zur Kritik, es entwickle sich immer stärker eine Zweiklassenmedizin? Das Wahlarztsystem etwa war da zuletzt im Fokus …
In Österreich gibt es ein Gesundheitssystem, in dem Sie den behandelnden Mediziner frei wählen und von der Behandlung eines Gerstenkorns im Auge bis zur Herztransplantation alles auf Kassenkosten bekommen können. Nicht viele Länder weltweit bieten ähnliche Leistungen in der Dimension an. Insofern finde ich die Diskussion über eine Zweiklassenmedizin schräg. Natürlich wird es immer ein System geben, in dem Ärzte privat arbeiten und nicht mit Kassenvertrag und sich leichter tun, weil sie keine fixen Ordinationszeiten anbieten, verrechnen können, was immer sie wollen, und nicht an bestimmte Regeln gebunden sind. Es wird immer auch Menschen geben, die privat zum Arzt gehen und sagen, der Preis ist es mir wert.
Sie halten das Wahlarztsystem also für okay, Ihr Obmann Andreas Huss will es dagegen abschaffen.
Das ist ein politischer Vorschlag, der in die Diskussion eingebracht wurde. Die ÖGK vollzieht die Rechtslage. Das System ist, wie es ist. Die Zahl der Vertragsärzte wird mit der Ärztekammer gemeinsam geplant. Darüber hinaus kann sich jeder Arzt in Österreich niederlassen und Leistungen privat erbringen. Wer zu einem Wahlarzt geht, bekommt 80 Prozent des Vertragstarifs, den die Kasse dem Arzt für Kassenleistungen verrechnet hätte, refundiert. Würde man das abschaffen, würden die Patienten nichts mehr zurückbekommen, während der Arzt trotzdem weiter privat tätig sein könnte.
Hat die Zunahme von Wahlärzten nicht auch damit zu tun, dass man bei ihnen schneller einen Termin bekommt oder weil man von einem bestimmten Mediziner operiert werden will?
Was Letzteres betrifft, so gehen wir grundsätzlich davon aus, dass es in Krankenhäusern keine Bevorzugung von Patienten gibt -unabhängig davon, ob sie zuvor in einer Privatordination waren oder nicht. So steht es im Gesetz. Was die Terminvergabe betrifft, so kann der Wahlarzt eben seine Arbeit frei steuern. Ein Kassenarzt hat dagegen vorgeschriebene Mindestöffnungszeiten und muss einen Versorgungsauftrag erfüllen. Wo es tatsächlich ein Problem gibt, sind Kinderärzte. Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze. Hier versuchen wir – im Rahmen unserer Möglichkeiten -gegenzusteuern.
»Am Ende leben die Ärzte von unseren Honoraren«
Man hat den Eindruck, zwischen Krankenkassen und Ärztekammer herrscht Dauerstreit …
Solange ich mich erinnern kann, hat es immer wieder Meldungen der Ärztekammer gegeben, wie fruchtbar die Sozialversicherung nicht ist, aber am Ende leben die Ärzte dann doch von unseren Honoraren und wir einigen uns immer. Das gehört sozusagen zum Ritual der Vertragsverhandlungen dazu, bei denen die Claims abgesteckt werden. Seit 1955 werden die Honorare für definierte Leistungen ja jährlich zwischen Kassen und Ärzten neu verhandelt. À la longue wollen wir aber hin zu einem System mit einem definierten verpflichtenden Leistungsspektrum und gesondert sehr stark pauschalierten Tarifen nach dem Motto „Was kostet die Stunde Arzt?“. Im Grunde ist das Verhältnis mit der Ärztekammer ein korrektes, bei dem die jeweiligen Positionen manchmal je nach Bundesland etwas anders formuliert werden.
»Es braucht sich keiner sorgen, dass unsere Leistungen nicht gesichert sind«
Die ÖGK wird heuer 99,2 Millionen Euro Verlust schreiben, 2023 dürfte es ein zusätzliches Minus von 111 Millionen geben. Was heißt das für die Versicherten?
Bei einem Gesamtvolumen von über 16 Milliarden ist das überschaubar. Der Grund dafür ist, dass die Pandemie zu bewältigen war und derzeit neue teurere Medikamente auf den Markt kommen, was sich entsprechend auswirkt. Wichtig ist, dass die ÖGK über den Fünfjahresgesamtzyklus (bis 2024, Anm.) ausgeglichen bilanziert. In Summe geht es sich immer aus. Wir haben Rücklagen, die wir für solche Fälle bilden, und es braucht sich keiner sorgen, dass unsere Leistungen nicht gesichert sind. Laut gesetzlichem Auftrag haben wir ein Zwölftel der Beitragseinnahmen eines Jahres als Rücklagen zu decken. Das ist mehr als eine Milliarde Euro.
»Wir werden in den nächsten Jahren zwangsweise Synergieeffekt haben«
Apropos Geld: Statt einer groß angekündigten Patientenmilliarde als Einsparungseffekt hat die Reform der Krankenkassen 215 Millionen Euro Kosten verursacht, wie der Rechnungshof unlängst kritisiert hat. Ein Flop …
Nein, die Reform ist mit Sicherheit ein Erfolg, auch wenn eine politische Ankündigung nicht eingetreten ist. Natürlich verursacht eine Fusion zu Beginn auch Kosten. Das ist die größte Fusion im öffentlichen Bereich in der Geschichte Österreichs. Die Gesundheitskosten steigen jedes Jahr um 3,4 bis 3,5 Prozent. Dass in der Verwaltung bei jährlichen Kosten von 600 Millionen Euro nicht eine Milliarde eingespart werden kann, ist logisch. Es sagt auch der Rechnungshof. Wir haben in verschiedenen Bereichen – von Dienstpostenplan über IT-Systeme Synergieeffekte definiert. Dadurch wird die Entwicklung der Kosten nach oben gebremst.
Wir werden in den nächsten Jahren zwangsweise Synergieeffekt haben, zum Beispiel in der Kostenerstattung, die zu hundert Prozent digitalisiert wird. Dort wurde ein System mit künstlicher Intelligenz aufgebaut, das sich eine einzelne Gebietskrankenkasse nie alleine leisten hätte können. Auch wenn wir Systeme wie SAP österreichweit nutzen können, anstatt regionale Anwendungen aufzubauen, sparen wir alleine in diesem Jahr 20 Millionen Euro. Dasselbe gilt für die Servicierung unserer Gebäude oder den zentralen Einkauf.
Zuletzt hat es einen Disput um die telefonische Krankschreibung gegeben – wie ist der aktuelle Status quo?
Die telefonische Krankschreibung wurde in Spitzenzeiten des Lockdowns eingeführt, um zu verhindern, dass infizierte Personen in Ordinationen gehen mussten. Sie wurde auch abhängig von den Infektionszahlen immer wieder verlängert. Es ist aber entscheidend, dass unsere Versicherten zum Arzt gehen können, wenn sie krank sind. Sie haben ein Recht auf eine ärztliche Behandlung. Die telefonische Krankmeldung für Covid-Verdachtsfälle gibt es aber nach wie vor -und zusätzlich für alle, die einen positiven Test vorliegen haben.
Wie sehen Sie die Abschaffung der Corona-Quarantäne, was heißt das für Sie?
Als Dienstgeber haben wir in der Verwaltung Homeoffice für Corona-positive Personen angeordnet. Und sonst mussten wir in unseren Systemen gewisse Änderungen vornehmen, was Krankschreibungen betrifft. Mit Ende der Quarantäneregelung sind ja die Absonderungsbescheide weggefallen und die Arbeitgeber bekommen die Kosten für coronabedingte Ausfälle nicht mehr vom Bund ersetzt. Statt in Quarantäne sind Corona-positive Mitarbeiter jetzt meist im Krankenstand.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33/2022 erschienen. |